»Was mir zum Glück noch fehlt« – Predigt zum 4. Sonntag der Sommerkirche 2019

In der Predigtreihe über „Glücksmomente in der Bibel“ predigte Pastor Klaus Schagon am 28. Juli 2019 unter dem Titel „Was mir zum Glück noch fehlt“ über Jeremia 9,22.23.

So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.

Liebe Gemeinde!

In Märchen und Sagen gibt es ein häufig wiederkehrendes Motiv: Eine Fee oder ein anderes Wesen mit Zauberkraft gewährt einem Glücklichen drei Wünsche. Und einen guten Rat gibt es obendrein meist noch dazu: Überlege klug, wähle weise. Da hat man einmal die Möglichkeit, dem Glück näherzukommen, sich das Leben optimal einzurichten. Natürlich kommt es dann oft doch wie’s im Märchen kommen muss: Der Beschenkte vermasselt die Chance nach Strich und Faden: Die beiden ersten Wünsche des Helden sind so kurzsichtig und dumm gewählt, dass sich der Leser schon fremdschämt; die Erfüllung führt in immer absurdere Situationen, so dass der letzte Wunsch nur noch dazu dienen kann, das herbeigewünschte Elend wieder gutzumachen und man sich hinterher in der gleichen Lage befindet wie zuvor. Wie im Märchen vom Fischer und seiner Frau lebt man hinterher wieder im alten Pott und Trott. Dieses Motiv ist natürlich ein Spiel mit der urmenschliche Frage, worauf es ankommt, was passieren müsste, damit man sein Leben als glücklich, ausgefüllt, als gelungen empfindet. Angenommen, eine gute Fee würde Sie vor die Wahl stellen, „Du hast drei Wünsche frei.“ Denken Sie mal eine Minute drüber nach (und keine Sorge, es wird nichts abgefragt, alles bleibt in ihrem Gedankenpalast) …

Ich habe mich gefragt, welche Antworten man erhielte, wenn man in die Große Straße ginge und Menschen unvorbereitet mit dieser Frage konfrontieren würde. Was würde das Ranking anführen? Meine Vermutung für den ersten Platz: Geld, ein Lottogewinn, ein Portemonnaie, in dem die Scheine nachwachsen. Irgendetwas in dieser Art, als Voraussetzung für alles, was man kaufen: Haus, Auto, Weltreise. Ganz oben auf der Liste wahrscheinlich auch Gesundheit für sich selbst und die Menschen, die man liebhat. Vielleicht: Attraktivität, Schönheit – obwohl: die kann man ja mittlerweile, einen guten Operateur vorausgesetzt, ja mittlerweile auch kaufen. Dann vielleicht Berühmtheit, Anerkennung, Bewunderung. Die scheint ja heute auch vielen wichtig zu sein. Erfolg vielleicht. Etliche würde bestimmt – zumindest mit einer Option (man hat ja schließlich drei) – auch über rein private Bedürfnisse hinauswünschen und an das Verschwinden der Waffen, das Ende von Kriegen, die Beseitigung von Hunger und Ungerechtigkeit denken.

Gedanken über das, was im Leben erstrebenswert ist, hatte man auch im Altertum. Ich lese, was der Prophet Jeremia schreibt: Der HERR sagt: »Der Weise soll sich nicht wegen seiner Weisheit rühmen, der Starke nicht wegen seiner Stärke und der Reiche nicht wegen seines Reichtums. Grund sich zu rühmen hat nur, wer mich erkennt und begreift, was ich will. Denn ich bin der HERR, der Liebe, Recht und Treue auf der Erde schafft! An Menschen, die sich danach richten, habe ich Freude.« (GNB)

Weisheit, Stärke, Reichtum. Das sind die Top 3 der damaligen Hitparade von dem, was Menschen für sich wünschen konnten. Das ist gar nicht so weit weg von dem, was heute gedacht wird. Sympathisch ist zunächst einmal, dass Jeremia alle drei Dinge nicht per se schlecht redet. Weisheit ist etwas Gutes. Die gesamte Antike (auch die Bibel) ist voller Hochschätzung für Menschen, die Bescheid wissen über rechte Lebensführung, die über Kenntnis und Gefühl verfügen, was gut zu tun ist und was nicht. Das Missfallen Jeremias beginnt aber da, wo jemand beginnt, sich darauf etwas einzubilden und damit angibt: Ich hab ihn gefunden, den Schlüssel zum Leben. Ich! Auch Stärke wird nicht negativ gesehen. Wer wollte es schon verurteilen, wenn jemand bei guten Kräften ist. Aber auch hier gilt: Wer meint, dies sei schon alles und sich deswegen über andere stellt, irrt. Nicht einmal der Reichtum, von dem man es ja aus überkommener christlicher Tradition wohl am ehesten vermuten würde, wird verdammt. Im Alten Testament hat Wohlhabenheit kein Geschmäckle, sondern häufig ein Zeichen eines von Gott gesegneten Lebens. Was dem Propheten nicht gefällt, ist die überflüssige Angeberei, Gefühl und Meinung, hier sei schon Schluss, der Gipfel erreicht. Wo jemand meint, er sei gegenüber anderen im Vorteil, wenn er eins von diesen dreien besitzt, gießt er Wasser in den Wein. Wo jemand sich den Tusch trommelt, weil er es doch so gut im Leben getroffen oder so gut gemacht habe, gibt er den Spielverderber. Nein, das ist alles gut und schön, aber etwas fehlt.

Der reiche junge Mann, dessen Begegnung mit Jesus das Neue Testament schildert (Schriftlesung Markus 10, 17 ff.), ist da deutlich bescheidener. Er spürt, dass es etwas gibt, was ihm Geld nicht zu geben vermag, was nicht käuflich ist. Darum sucht er das Gespräch mit dem Meister. Und Jesus tadelt ihn nicht wegen seines Reichtums, aber gibt dem Mann deutlich zu verstehen, dass anderes dringender wäre. Dazu kann der sich nicht durchringen. Aber es bleibt eine Trauer, etwas Entscheidendes verpasst zu haben. Zurück zu Jeremia. Auch er behauptet, wer sich auf Weisheit, Stärke und Reichtum als oberste Ziele verlässt, meint, schon alles zu besitzen, verpasst auch das Entscheidende, auch wenn all diese Dinge nicht zu verachten sind. Natürlich, wohl dem, der’s hat, aber darüber hinaus liegt mehr. Drei Wünsche Gottes „Grund sich zu rühmen hat nur, wer mich erkennt und begreift, was ich will. Denn ich bin der HERR, der Liebe, Recht und Treue auf der Erde schafft! An Menschen, die sich danach richten, habe ich Freude.« Liebe, Recht, Treue – eine Dreiergruppe von Worten und Werten, die drei Wünsche Gottes für seine Menschen, setzt er der Dreiergruppe Weisheit, Stärke und Reichtum entgegen. Weisheit, Stärke, Reichtum, meinetwegen auch Schönheit, Erfolg oder Berühmtheit – das kann man notfalls nur für sich allein haben. Sie verleiten zu einem falschen Stolz, sie verleiten zu Eigenlob, das bekanntlich stinkt. Sie verleiten zur Haltung „Unterm Strich zähl‘ ich“. Nichts davon verpflichtet einen zu irgendetwas, was auch einem anderen zu Gute kommt. Wer sich dieser Dinge rühmt, mit ihnen herumposaunt – erzeugt immer ein Gefälle, in dem der andere mehr oder weniger subtil darauf hingewiesen wird, dass er niedriger steht als man selbst. Liebe, Recht und Treue. Diese drei Wünsche Gottes schließen eine pure Selbstbezogenheit aus, immer kommt mit ihnen auch der andere ins Spiel, seine Bedürfnisse, sein Recht, seine Fähigkeiten, seine Not. Darin – so Jeremia – besteht die wahre Erkenntnis von Gottes Willen: Menschen hören auf, sich allein für den Mittelpunkt der Welt zu halten, hören auf, sich für die Sonne zu halten, um die andere nur kreisen müssen. Dem anderen sich zuwenden zu können, erschließt eine neue Dimension. Das gute Leben beginnt erst mit dem Sozialen. Es beginnt erst in der Begegnung. Zum Glück bedarf es mindestens zweier Menschen.

Der Soziologe Harald Welzer schreibt in seinem Buch „Alles könnte anders sein“: Soziale Beziehungen sind das, was Menschen als Erstes kennenlernen, wenn sie auf die Welt kommen, besser gesagt: Die erste Welt eines Menschen besteht aus Beziehung und aus nichts sonst. Das Primat des Sozialen taucht am anderen Ende des Lebens folgerichtig wieder auf: Wenn Menschen schwer oder tödlich erkranken, möchten sie nicht, dass der Text ihrer Todesanzeige lautet: „Fuhr einen Audi Q7 und machte fünf AIDA-Kreuzfahrten und eine sogar mit der MS Europa.“ Sie möchten der Nachwelt nicht in ihrer Eigenschaft als Verbraucher, sondern als guter, gütiger, liebender Mensch erinnerlich sein. Sie wollen in Bezug auf andere gelebt haben. Was hier als Erkenntnis des 21. Jahrhunderts ausgegeben wird, ist schon lange vorher eine Grundidee, die die Bibel wie ein goldener Faden, als Gottes Gedanke für die Welt, durchzieht: Glück hat mit Interaktion zu tun, mit der Kommunikation, mit Hinwendung, mit Liebe, mit Eintreten für das Recht für alle, mit Treue.

Stell‘ das Wünschen Gottes über dein eigenes Wünschen – das bringt der Welt mehr Glück und dir auch. So könnte man den Appell Jeremias knapp resümieren. Die Fakten sehen leider meistens anders aus: Die Gesellschaft und man selbst ja auch ist vielleicht noch mehr als früher vom Haben als vom Sein bestimmt. Das gute Leben, die Suche nach dem Glück, ist der Regel der beharrliche Versuch, sich vom anderen dadurch zu unterscheiden, dass man selbst mehr ist, mehr bedeutet oder schlicht, dass man mehr hat. Wie selbstverständlich folgt man dem Mainstream, das mit diesem Rezept ihre Glückserwartung einlösen möchte. Und die Werbung weiß sehr gut, wie sie die Erwartung kitzeln kann, durch den Erwerb von Dingen das Bewusstsein aufzuwerten. „Schrei vor Glück“, wenn der Postbote dir dein neues Paar Schuhe bringt. Freiheit erfährt man am besten im neuen SUV – obwohl der einen meistens nur schneller in den Stau bringt. Und wenn’s etwas differenzierter wird, werden uns irgendwelche Statusversprechen gegeben, die unser Leben aufwerten sollen. Die Frage, ob unser Wünschen (die wir uns heute ganz ohne gute Fee selber erfüllen) nicht genauso töricht ist wie in den Märchen, beantwortet sich, glaube ich, von selbst. Viele sehen heute doch klar, wohin das führt, dass einen das selber nicht voranbringt und in vielen Bereichen katastrophale Folgen hat. Ob nicht das Konzept Jeremias, das Konzept der Bibel, das Wünschen Gottes für Mensch und Welt, das wir in der Stimme der Propheten und des Propheten Jesus hören, nicht doch das bessere Wünschen ist, dass einen das wahre Leben spüren lässt. Eigentlich wissen wir das doch. Amen