Predigt an Invokavit 2015
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Predigttext: Matthäus 6, 16–21
Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.
Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
Liebe Gemeinde,
Schwestern und Brüder in Christus,
Jesus geht davon aus, dass wir fasten. Ganz offenbar. Das ist für viele eine echte Überraschung. Jesus hat anscheinend vor der Reformation gelebt. Doch Spaß beiseite: In der Bergpredigt zählt Jesus das Fasten zu den drei Haupt-Ausdrucksformen unseres Glaubenslebens: Almosengeben. Beten. Und Fasten.
Alles das stellt er unter eine gemeinsame Überschrift: Habt Acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.
Drei verschiedene Weisen, wie der Glaube gelebt wird. Gelebt! Damit er nicht nur eine Theorie bleibt, eine Spekulation, eine Kopfgeburt. Nein, Glaube will sich Raum verschaffen – in unserem Leben.
Erstens: Almosen. Dem Glauben ist das Schicksal unserer Mitmenschen in einer ungerechten Welt nicht egal: Daher wird Glaube lebendig in dem, was wir teilen… in traditioneller Sprache nennt man das Almosen.
Zweitens: Beten. Im Glauben tritt Gott heraus aus der Rolle eines unbewegten Götzen irgendwo im Universum, dem Glaubenden wird Gott zum Gegenüber, wird uns zum Du. Deshalb lebt der Glaube aus dem Gespräch mit Gott – dem Beten.
Und drittens: Fasten. Im Zügeln mancher Bedürfnisse trainieren wir unseren Glauben für uns selbst. Denn wenn der Glaube wahr ist, dann kann unser Leben nicht so bleiben, wie es ist. Wer ehrlich zu sich selber ist, weiß das. Jesus sagt deutlich, wer im Leben „selig“ zu nennen ist. Wir haben es vorhin gehört.
Nur ist es leider Illusion, dass wir im Leben alles richtig machen können. Immer schon uns selbst nicht so wichtig nehmen. Eitelkeit und Rechthaberei ablegen und unseren Reichtum teilen. Es bleibt meist ein Wunschtraum, dass Wallstreetbanker plötzlich Mönche werden, und es ist leider Illusion, dass Mitteleuropa plötzlich einen Lebensstil pflegt, der Afrika nicht die Puste ausgehen lässt. Aber zumindest trainieren können wir es. Verzicht und Demut immer mal wieder in unser Leben einziehen lassen. Askese als zeitlich begrenztes Projekt sozusagen. Und manchmal bleibt etwas im Alltag hängen. Das ist das Fasten.
Wenn wir nun mit Jesus den Blick auf die drei Weisen der Frömmigkeit richten, die er nennt, merken wir: Zwei davon sind alte Bekannte: Almosen und Beten. Eines ist fremd: Das Fasten. Das hat mit unserer protestantischen Geschichte zu tun. Die Reformation wollte alles abschaffen, was man missverstehen konnte als Währung, mit der wir uns bei Gott einkaufen könnten. Denn wir leben ganz allein aus Gottes Zuwendung. Nicht aus unserer eigenen Gerechtigkeit.
So recht die Reformation damit gehabt hat – so sehr hat sie in diesem Fall das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Jesus fastet und Jesus redet vom Fasten – wir nicht. Das war ein paar Jahrhunderte lang das Motto der evangelischen Kirchen. Das hat sich in jüngerer Zeit verändert. Gott sei Dank. Mit Phantasie und Lust am Ausprobieren das Fasten neu entdecken – so könnte man die Bewegung „7 Wochen ohne“ beschreiben. Die für uns Protestanten sozusagen ein Land des Glaubens wiederentdeckt hat. Einen ganzen Kontinent, auf dem wir nun neugierig und vorsichtig vorantasten.
Auch in unserer Gemeinde sind viele mit von der Partie auf der jährlichen Entdeckungsreise, dass weniger mehr sein kann und dass eingefahrene Gleise verlassen werden können. Seit über 10 Jahren schon in der Fastengruppe „7 Wochen ohne“. Und noch viele andere, weit über diese Gruppe hinaus. Das ist übrigens keine sauertöpfische, sondern eine fröhliche Reise. Passend zu Jesu Worten.
Wollen wir uns die noch einmal genauer anschauen, die Worte Jesu.
Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.
Jesus fragt nach dem „richtigen“ Fasten. Offenbar kann man da einiges falsch machen. Wir müssen davon ausgehen, dass das Fasten, das Jesus vor Augen hatte, keine kleine Askese-Übung war, wie wir sie kennen. Sondern eine große: Man aß nichts oder nur das Allernötigste. Die Israeliten fasteten zu Jom Kippur und Tisha Be’Aw, sie fasteten in der Trauer und als Ausdruck der Buße und Umkehr.
Tatsächlich bedeutet auch strenges Fasten nicht, dass man einfach zu essen aufhört. Wer fastet, bereitet sich gut darauf vor; auch beim Fasten selbst muss man Regeln beachten, damit man sich selbst nicht damit schadet. Denn das Fasten entschlackt und entgiftet auch. Dadurch, dass der Körper vom Eingemachten lebt, wird unnützer Ballast abgebaut und allerhand Dreck ausgeschieden, der sich im Laufe der Zeit im Menschen angesammelt hat. So kommt es, dass Fastende ziemlich unangenehm riechen. Deshalb spielt Körperpflege beim Fasten eine wichtige Rolle. Jesus aber hat fromme Leute vor Augen, die es geradezu darauf anlegten, dass man schon von weitem riechen und sehen konnte, dass sie fasteten. Ihnen war es nicht peinlich, den Nasen und Augen der anderen einiges zuzumuten – im Gegenteil: sie wollten damit gern für ihren Glaubenseifer bewundert werden. Sie wuschen sich nicht, sie benutzten keine Seife und kein Parfum, so dass bald, wie Jesus formuliert, ihr Gesicht unter einer Schicht Dreck verschwand.
Das Gesicht verschwinden lassen, um so erst recht gesehen und wahrgenommen zu werden, das ist die Strategie dieser Frommen. Offenes Gesicht und offenes Lächeln sind ihre Sache nicht. Sie setzen Sauertöpfischkeit auf und verbreiten den Muff eines entsagungsvollen Lebens. Die Bewunderung vieler anderer für ihr ernstes, im Glauben sorgenvolles Leben, sagt Jesus, das ist denn auch der Lohn. Die persönliche Bewunderung – der Genuss, den sie davon haben. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.
Hier setzt die Parallele ein zu dem Beispiel, das Jesus als nächstes bringt.
Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motten und Rost sie vernichten und wo Diebe einbrechen und stehlen!
Jetzt geht es um das private Glück der Besitzenden, die ihre Güter in Truhen und Scheunen horten. Ganz im Gegenteil zu denen, die ihre Askese zur Schau stellen, freuen sie sich ihres Wohlstands. Vielleicht auch des Neids der anderen.
Jesus weist darauf hin: Der Lohn beider ist nicht von Dauer, er verschwindet. Die Bewunderung der Leute für die ernsthaft Religiösen verfliegt wie der Rauch des Strohfeuers im Wind. Und Motten zerfressen die wertvollen Kleider, Holzwürmer zernagen die hölzernen Truhen mit den Schätzen der Reichen. Diebe tragen weg, was nicht niet- und nagelfest ist.
Und wir, liebe Christen? Wie ist es mit uns und in unserem Leben?
Wir müssen uns kaum Sorgen machen wegen Motten oder Holzwürmern: die Werte, die wir besitzen, sind in der Regel vor ihnen sicher. Und auch Diebe haben es nicht mehr so leicht, bei uns einzubrechen, zumal wir die wahren Werte gar nicht zuhause lagern, sondern auf der Bank. Da sind sie vor Dieben ebenso sicher wie in Abrahams Schoß.
Glaubten wir. Aber nun erfahren wir, dass unser Geld auf der Bank immer weniger wird, weil es für die Spareinlagen keine Zinsen mehr gibt. Zwar ist das Geld nicht gleich weg, aber statt dass der Haufen Jahr um Jahr wächst, wird er Stück für Stück kleiner. Die Zyprioten haben es noch schärfer erlebt. Ihre Bankkonten wurden in den vergangenen Jahren einfach halbiert. Wer weiß, was uns die Eurokrise noch bescheren wird.
Jesus schlägt einen anderen Umgang mit unseren Schätzen vor – dem Schatz unseres Glaubenslebens ebenso wie mit unserem materiellen Besitz. Statt sie für uns allein zu genießen, sollen wir sie im guten Sinne nutzen.
Immerhin zeigen die Fastenden, die Jesus kritisiert, auch etwas: Die Selbstdarstellung der Insider. Das kennen wir noch heute ganz gut, im eigenen Leben. Und deshalb spricht vielleicht Jesus auch uns an. Auch bei uns gibt es Zeichen, an denen sich die wahren Insider erkennen. Zum Beispiel am Fastenkalender, der sichtbar auf dem Tisch liegt. Am Losungsbüchlein, das man bei sich hat oder dem Tuch, das man trägt. An einer bestimmten Art Sprache, die man spricht, und die einen als Angehörigen des harten Kerns der Gemeinde ausweist.
Mit dem Fastenkalender, dem Losungsbuch, dem lila Tuch und der Insidersprache ist es so, wie Jesus das Fasten beschreibt: Da gibt es die, die es tun, weil sie es für Gott tun wollen, und die sich deshalb äußerlich nichts anmerken lassen. Und dann gibt es die, die es tun, damit die anderen es sehen und sie bewundern und beneiden.
Es fällt uns schwer, so streng wie Jesus die Trennungslinie zu ziehen. Und sie selbst zu beachten. Oft ist uns gar nicht bewusst, dass wir von anderen gesehen werden wollen. Es ist für uns so selbstverständlich, dass man zeigt, was man kann und was man getan hat.
„Tue Gutes und rede darüber!“ Dieser Ratschlag hat das alte „Eigenlob stinkt“ schon lange abgelöst – das ziemlich direkt vom heutigen Predigttext abgeleitet sein könnte.
Nein, Jesus… Die Leute dürfen ruhig sehen und wissen, was ich geleistet habe. Mir tut es gut, wenn meine Leistung gewürdigt und bewundert wird. – „Gut“, sagt Jesus, „kannst du alles machen. Aber dann wird das Ergebnis deines Tuns schnell verschwinden. Denn du bleibst abhängig von der Anerkennung durch die anderen. Du wirst immer und immer wieder etwas leisten und dich zeigen müssen, damit die Leute dich auch weiterhin bewundern und respektieren. Bei Gott dagegen hast du das nicht nötig. Gott freut sich zwar auch über das, was du leistest. Gott freut sich, wenn du für ihn fastest. Aber du musst das nicht tun, um Gott etwas wert zu sein. Gott respektiert dich so, wie du bist, und erkennt das an, was du bist. Entscheide selbst, auf wessen Anerkennung du dich verlassen willst: auf die Gottes, oder auf die deiner Umgebung.“
Und ähnlich verhält es sich mit den irdischen Schätzen. Natürlich ist es klug, sich etwas auf die hohe Kante zu legen, für das Alter oder für eventuelle Notlagen vorzusorgen. Es wird schwer, wenn du im Alter auf Sozialhilfe angewiesen bist. Aber alle Versicherungen, Anlagepakete und Sparstrümpfe können uns nicht vor dem bewahren, was das Alter vor allem so erschreckend macht: Krankheit, Einsamkeit, Hilflosigkeit. Mit Jesus wäre zu fragen, ob wir mit unserer Art der Altersvorsorge wirklich die richtige Anlageform gewählt haben:
Ob es nicht besser wäre, statt auf Geld auf soziale Kontakte zu setzen: auf einen Freundeskreis, auf den wir uns verlassen können und mit dem wir auch im Alter noch Zeit verbringen möchten.
Ob es nicht besser wäre, statt in Fonds in Infrastruktur zu investieren: dafür mitsorgen, dass der Bäcker und das Geschäft im Viertel bleiben, damit man dann, wenn man nicht mehr so weit laufen oder fahren kann, immer noch das vorfindet, was man zum Leben braucht.
Ob es nicht besser wäre, statt auf hohe Rendite auf Menschlichkeit zu achten in den Krankenhäusern und Altersheimen, in denen eines Tages auch wir liegen werden. Damit sie keine Orte sind, vor denen man sich fürchtet, sondern Orte, in denen Menschen menschenwürdig leben können und versorgt werden.
Ob es nicht angemessen wäre, auch in Staat und Gesellschaft auf Menschlichkeit zu achten – damit unser Europa bekannter wird für Solidarität als für Hartherzigkeit. Die Zuwanderung auf unseren Kontinent steigt an, je größer die Not überall ist. Es kommt für die Zukunft auch unserer Kinder darauf an, ob wir die Schleusen sinnvoll öffnen, oder uns so hoch abschotten, dass eines Tages der Damm nur noch brechen kann.
Ob es schließlich nicht besser wäre, statt auf die Macht des Geldes auf die Macht Gottes zu vertrauen, die sehr viel weniger greifbar, die so schrecklich unberechenbar ist – die aber niemals unmenschlich, sondern an der Seite derer ist, die schwach sind, hilflos, ängstlich, krank und verfolgt.
Jesus warnt davor, nur an sich und die eigene Maske zu denken. Wer in erster Linie auf seinen eigenen Bauchnabel schaut, wird dadurch zum homo incurvatus in se ipsum, zum in sich selbst verkrümmten Menschen, wie Martin Luther ihn nannte. Diese Versuchung lauert in unserer Frömmigkeit und genauso in unserem Umgang mit Geld und Besitz.
Fasten heißt, einüben mit weniger auszukommen. Beim Füllen des Magens und beim Füllen des Egos. Fasten ist der Versuch, für das, was wir sind und was wir wert sind, auf Gott zu vertrauen. Sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Denn dass ich jemand bin, und dass ich etwas wert bin – das verdanke ich Gott, nicht mir selbst.
Du bist schön – ist deshalb das Motto der diesjährigen Fastenaktion. Du bist schön – denn du bist von Gott zum Menschsein berufen. Diesen Ruf zu hören, geht manchmal leichter, wenn man nicht so einen vollen Magen hat. Du bist schön. Du bist Gottes Kind. Nicht mehr und nicht weniger.
Natürlich sollen wir nicht die eigene Daseinsvorsorge über Bord werfen. Aber im Entscheidenden sorgt Gott dafür, dass ich genug habe – vor allem genug von dem, was ich wirklich zum Leben brauche. Jesus weist darauf hin: Gott will dich aus der Selbstverkrümmung befreien, aus dem Kreisen um dich selbst. Dazu befreien, ihn zu hören und die Mitmenschen anzuschauen. Ihnen ein Lächeln zu schenken, ein Strahlen deines gewaschenen Gesichtes, einen wohltuenden Hauch deiner duftenden Haare.
Natürlich geht es Jesus nicht um Äußerlichkeiten, wenn er die frömmelnden Asketen und die Wohlhabenden kritisiert. Er will nicht in erster Linie sagen, dass wir uns öfter mal waschen, mehr spenden, unsere Bank oder unseren Anlageberater wechseln sollten. Jesus geht es um uns, um unser Heilsein, unser Glück.
Jesus weiß, dass es uns nicht gut tut, wenn wir uns von der Anerkennung und dem Lob anderer abhängig machen. Er bietet uns an, auf Gottes Anerkennung zu vertrauen, die wir umsonst haben können, ohne uns beweisen, ohne etwas dafür tun zu müssen.
Jesus weiß auch, dass das Geld uns nicht vor dem Leben schützen kann. Die Sicherheit, die es verspricht, kann es uns nicht geben. Im Zweifel wird es sich gegen uns wenden.
Unser wahrer Schatz ist im Himmel. Wir vermehren ihn, wenn wir das Kinder-Gottes-Sein einüben. Uns selbstlos anderen Menschen zuwenden, wenn wir ohne Hintergedanken helfen, wenn wir den manchmal so schweren Schritt über die Schwelle des Nachbarn tun. Dabei bilden wir ein Guthaben an Liebe und Mitmenschlichkeit, das für ein ganzes Leben vorhält und uns auch im Alter noch dunkle Stunden hell macht.
Vor allem aber haben wir die Chance, im Mitmenschen dem zu begegnen, der uns über alles liebt und der sein Leben gab, damit wir das Leben in Fülle haben. Diesen wahren Schatz gilt es zu entdecken – jeden Tag neu, nicht nur zur Fastenzeit.
Amen.
Kommentarbereich geschlossen.