Was, wenn es Bielefeld gibt – aber Geld nicht?

„Bielefeld hat auf!“ Auf den Osnabrücker Straßen versuchen die Ostwestfalen, ihre niedersächsischen Nachbarn nicht nur von der Existenz ihrer Stadt zu überzeugen, sondern dort am Reformationstag zum Shoppen zu bewegen.

Kauft bei uns ein, heißt die Devise. Ausgerechnet an dem Tag, der mit der Botschaft, dass man sich sein Seelenheil nicht kaufen kann, 1517 die Reformation ins Rollen brachte.

Jetzt könnte man sich fröhlich ein wenig in Konsumkritik ergehen, nur um am Samstag aufgeräumt in Osnabrück die Wirtschaft anzukurbeln. Oder man geht der Spur über Bielefeld etwas tiefer nach.

Denn was ist, wenn es Bielefeld tatsächlich gibt – aber Geld nicht?

Hä? Was soll das, da sind doch Münzen und Scheine im Portemonnaie! Und Zahlen auf dem Konto!

Der Schein trügt. Die Münzen und Scheine sind tatsächlich nicht das Geld selbst: Sie sind nur Hinweise auf das, was Geld sein soll. Früher stand das sogar noch auf unseren Banknoten drauf, auf den englischen Scheinen steht es bis heute: Die Scheine sind nicht das Geld selbst, sondern: nur ein Versprechen, dass noch bezahlt werden soll.

Wir halten unser modernes Geld eigentlich für eine fassbare Sache. Daher fällt uns – und den allermeisten Ökonomen – bei der Frage, was Geld überhaupt ist, oft nicht viel mehr ein, als dass es ein Ding sei, das aus dem Tauschhandel entstanden sei. Früher hätte man Möhren, Messer und Möbel wild getauscht, bis man sich zivilisiert auf Münzen als universelles Tauschmittel geeinigt hätte. Es ist eine Art unschuldige Paradieserzählung der Moderne. Mit Äpfeln und Birnen, nur ohne Schlange.

Der Haken: Diese Erzählung fußt auf nichts als Vermutungen. Sie ist ein Mythos, mit dem wir uns unsere erstaunliche Welt zufrieden erklären.

Geld ist in unserer Zeit aber kein Tauschmittel, kein Ding. Es ist nothingno thing. Nichts als ein Versprechen, dass noch gezahlt werden soll. Ein Schuldschein, der einfach weitergegeben wird. Geld ist einfach nicht zu fassen.

So entsteht jeder einzelne Euro, der in unseren Portemonnaies und auf unseren Konten verzeichnet ist: Unser Geld fängt als eine Schuld an, die eine Bank als Kredit gibt. Diesen Vorgang nennt man Geldschöpfung. Das Wort erinnert nicht zufällig an die Schöpfung in der Bibel. So wie am Anfang der Bibel Gott die Welt durch sein „Es werde…“ erschafft – so sagen wir Menschen: „Es werde Geld“. Deswegen heißt unser modernes Geld auch Fiat-Geld, vom lateinischen Wort fiat: „es werde“. Unser Geld ist eine Schöpfung aus dem Nichts.

In dem Moment, in dem eine Bank einen Kredit verleiht, entsteht Geld. Auch hier sind wir noch ganz in der Welt des Glaubens. Denn Kredit kommt von credere: glauben, vertrauen. Mit einem Kredit sagt eine Bank: Wir glauben als Gläubiger, dass wir diese Summe X vom Schuldner Y wieder zurückbekommen – und zwar verzinst als größere Summe. Es muss einfach nur als ein „Mehr“ zurückkommen.

In diesem Wort mehr liegt das ganze Geheimnis unseres Geldes. Es funktioniert nur, wenn es mehr wird. Unsere rein auf diesem virtuellen (metaphysischen) Geld beruhende Wirtschaft muss wachsen, damit sie nicht zusammenbricht. Denn das würde passieren, wenn dem Versprechen, das Geld ist, nicht mehr geglaubt wird. Wenn die Gläubiger nicht mehr davon ausgehen, dass am Ende tatsächlich bezahlt wird.

Viele Philosophen wie Charles Taylor sind der Frage nachgegangen, wie es eigentlich möglich gewesen ist, dass der christliche Glaube an Gott bis in die Zeiten Luthers eine absolute Selbstverständlichkeit war – aber heute nicht mehr. Vielleicht, weil wir heute meist nicht mehr an Gott, sondern eben ans Geld glauben?

Luther fragte nicht, ob es Gott gibt. Das war klar für ihn. Er fragte, wie dieser Gott uns Menschen sieht.

Zu Martin Luthers Zeiten änderte sich langsam aber eine Welt. Münzen gab es schon bald über 2.000 Jahre. Aber bis weit ins Mittelalter lebten die allermeisten Menschen nicht vom Kauf und Verkauf. Sie versorgten sich in Familien und Nachbarschaften auf dem Land einfach selbst. So wie meine Urgroßeltern noch um 1900 herum auf dem Land fast alles selbst anbauten und züchteten – und Geld eher eine Nebensache war.

Luther war im Gegensatz zu den allermeisten Menschen seiner Zeit ein Stadtkind. Mit den immer größeren und zahlreicher werdenden Städten kam ein ganz anderes Lebensmodell auf. Man versorgte sich nicht mehr über persönliche Verpflichtungen innerhalb einer Großfamilie und Nachbarschaft bis hin zu Kirche und König, sondern über eine unpersönliche Verpflichtung namens Geld.

Der Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit war ein Übergang von einer Welt des gemeinsamen Gebens und Nehmens hin zu einer Welt des individuellen Kaufens und Verkaufens. Es war in erster Linie dieses Geld, das die Stadtluft so frei machte. Und das unsere Freiheit, die Abwesenheit von persönlichen Verpflichtungen, heute so allumfassend prägt.

Als Eingeborene der neuzeitlichen Welt fühlen wir uns frei, an den christlichen Gott zu glauben oder nicht. Wir vertrauen dieser oder jener politischen Ideologie oder auch gar keiner. Wir können sogar glauben, dass es Bielefeld nicht gibt. Uns alle aber eint, dass wir an das Geld glauben. Weil wir dran glauben müssen.

Nur Geld hat seinen Preis. Es muss mehr werden, damit der Zahltag nicht heute, sondern erst morgen ist. Geld geht davon aus, dass sich das jüngste Gericht auf ewig verschieben lässt.

Auf dieser langen Bank sitzen wir alle.

Die spannende Frage wäre: Wie sähe eine Welt ohne ein Geld aus, das wachsen muss?

Es wäre keine Gesellschaft von Gläubigern und Schuldnern, sondern eine Gemeinschaft von Glaubenden, für die Dinge und Menschen heilig sind: unverkäuflich.

Die Propheten unseres Schuldscheingeldes würden sagen, dass es diese Welt nie gegeben habe und nie geben wird.

Jesus hat viel über Geld als Schuld gesprochen. Und in all seinen Bildern und Beispielen von der Welt Gottes verliert Geld seine Bedeutung, wird Schuld vergeben. Und immerhin hat er die Menschen in seiner Nachfolge ausdrücklich ohne Geld ausgesandt.

Vielleicht knüpfen wir da an?

Jan-Henry Wanink