Predigt an Pfingstsonntag 2016 in der Bergkirche

Predigttext: Apostelgeschichte 2,1–13

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an „einem“ Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa?
Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden. Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.

Liebe Gemeinde!

Was will das werden? So sagen die Beobachter des Pfingstwunders zueinander – ratlos und entsetzt.

Was will das werden? – Angesichts der weiteren Entwicklung der christlichen Kirche eine überaus hellsichtige Frage. Einige versuchen, diese Frage gleich zu beantworten und spotten: „Sie sind voll von süßem Wein.“ Aber falscher hätten sie mit dieser Antwort kaum liegen können. Und wir lernen daraus: Wer zu schnell antwortet, hat zwar die Lacher auf seiner Seite, aber nicht unbedingt die Wahrheit.

Was will das werden? So haben wohl die Jüngerinnen und Jünger Jesu entsetzt gedacht, als man Jesus gefangen nahm und abführte zum Verhör, zur Verurteilung und dann zur Hinrichtung. Sie ahnten Schlimmes, aber dass das Schlimmste wahr werden würde, haben sie wohl doch nicht gedacht. Es gab ja auch noch eine reale Chance: „Wollt ihr Barrabas oder Jesus frei haben?“, so fragt Pilatus das Volk. Aber die wütende Meute will Jesus gekreuzigt sehen. Er wird gefoltert und hingerichtet. Und die Erde erbebt.

Was will das werden? So dachten bestürzt die Frauen am Ostermorgen, als sie das Grab offen sahen und bemerkten, dass der Leichnam Jesu nicht mehr da war. Sie erzählen den anderen Jüngern davon, aber auch die stehen am Ostermorgen noch immer unter Schock. Das leere Grab – Fortsetzung des Grauens von Karfreitag. Die Welt immer ohne Licht, ohne Zukunft.

Es hat einige Stunden gedauert, bis die Botschaft der Engel am Grab zu den Jüngerinnen und Jüngern durchdringt und sie wahrnehmen, dass in der Tiefe der Finsternis ein Licht auftaucht. An Ostern öffnet sich für die Anhänger Jesu die Zukunft und sie werden allmählich fähig, Neues wahrzunehmen. Vielleicht kann aus dem Gekreuzigten doch noch etwas werden? Aber erst einmal ist er weg, entschwunden – Himmelfahrt.

Was will das werden? So denken die Jüngerinnen und Jünger, als sie am Pfingsttag ängstlich zusammensitzen, hinter verschlossenen Türen, und plötzlich das Brausen vom Himmel zu hören und spüren ist (durch die Türen hindurch!) und sie die Feuerzungen auf ihren Häuptern wahrnehmen, Zeichen der Gegenwart Gottes wie in der Wüstenzeit, als sie spüren, dass sie mit Kräften erfüllt wurden, von denen sie bislang nichts ahnten.

Was will das werden? Petrus ist der erste, der das Ereignis zu deuten weiß und mit seiner Deutung an die Öffentlichkeit tritt. Er hält eine lange und durchaus erfolgreiche Predigt: Dreitausend Menschen lassen sich spontan taufen. Er sagt: Es ist der Geist Gottes, der vom Himmel gekommen ist und die Jüngerinnen und Jünger ergriffen hat. Aus den verzweifelt Traurigen des Karfreitags, aus den zaghaft Hoffenden von Ostern werden plötzlich zuversichtlich Glaubende. Sie verkriechen sich nicht länger im Haus, sie treten an die Öffentlichkeit. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu suchen nicht mehr die Dunkelheit und den Schutz der Verborgenheit, sie wachen auf, sie gehen nach draußen, sie ergreifen das Wort. An Pfingsten werden die Anhänger Jesu gewiss, dass der Gekreuzigte auferstanden ist und sie in seinen Dienst nimmt und mit dem Bau der Gemeinde beauftragt.

Was will das werden? An Pfingsten tauchen für die Jüngerinnen und Jünger Jesu die Konturen einer Zukunft auf, von der sie gar nicht geahnt haben, dass es sie einmal geben könnte. Und auch wenn an Pfingsten die Zukunft wieder offen wurde – wer hätte sich damals in Jerusalem vorstellen können, dass wir uns heute nach fast zweitausend Jahren noch an diesen Pfingsttag erinnern? Dass wir, die wir heute zum Gottesdienst versammelt sind, Teil der Zukunft des Auferstandenen sind?

Was will das werden? So sagen die Beobachter der Pfingstereignisse zueinander. Sie hören die Worte, verstehen aber erst einmal nichts, dann mehr, in ihren Sprachen. Sie sind Zeugen eines Ereignisses der Endzeit der Geschichte (so deutet es Petrus, die Propheten haben das geweissagt): Gottes Geist kommt auf Gottes Söhne und Töchter herab. Die Beobachter erleben den Anfang einer Welt, in der Gottes Geist Raum zu greifen beginnt und die vom Geist Christi immer mehr erfüllt wird.

Zwei Milliarden Menschen gelten heute als Christinnen und Christen. Und was wäre diese Welt ohne all diejenigen, die im Geist Jesu zu leben versuchen, sich ihren Nächsten (nahe und fremde Nächste!) zuwenden mit Liebe und Zutrauen? Was wäre diese Welt ohne die, die bereit sind umzukehren und zu bereuen, wenn sie in die Irre gegangen sind, privat und politisch? Was wäre diese Welt ohne die Hoffnung auf eine gute Zukunft der Menschheit in einer Welt des Friedens und der Versöhnung? Was wäre diese Welt ohne den Geist der Liebe, der Hass und Gewalt überwindet und der aus ängstlichen und verschlossenen Mienen offene und zugewandte Gesichter machen kann?

Was will das werden? So fragen zuletzt wir, die wir auf fast zweitausend Jahre Christentumsgeschichte zurückblicken und die wir all die Irrtümer, die Missbräuche und die Opfer der christlichen Kirche nicht übersehen können. Viele in der Kirche, gerade in Deutschland, sind verzagt, wenn sie an die Zukunft des Glaubens denken. Viele sehen keine Chance, mit der sperrigen Botschaft des Jesus von Nazareth die Menschen zu erreichen. Viele haben keinen Mut, von ihrem Glauben, der ihnen selbst wichtig ist, zu sprechen, weil sie fürchten, dass ihr Bekenntnis ohne Resonanz bleibt und dass man sie nur als Relikt einer vergangenen Epoche ansehen wird.

Was will das werden? Wie sieht die Zukunft der Christenheit, des Glaubens, wie sieht die Zukunft des Jesus von Nazareth aus? Seit Pfingsten ahnen wir, dass Gott lebendiger ist, als wir Ängstlichen vermuten, kräftiger am Werk, als wir Zaghaften fürchten, umstürzlerischer ist, als unsere Verwaltung von Religion glauben macht.

Was will das werden? Pfingsten will werden: Auch zu uns kann Gottes Geist kommen, wenn wir müde und verzagt sind. Der Geist Gottes: die Augen öffnend für seine Wirklichkeit. Der Geist Gottes: die Wahrheit erschließend, die uns klar sehen lässt und frei macht. Der Geist Gottes: Mut machend, den Anfang zu wagen und Schritte nach draußen zu gehen. Der Geist Gottes: tröstend, weil er uns mit Christus verbindet und uns Gottes Zuwendung und Nähe vermittelt. Der Geist Gottes lehrt uns, das Unwahrscheinliche zu denken und uns für die Zukunft Gottes zu öffnen.

Indem wir Pfingsten feiern, öffnen wir uns für das Wirken von Gottes Geist. Und damit stellt sich an uns die Frage, ob wir bereit sind, uns von Gottes lebensschaffendem Geist anstecken zu lassen, ob wir Teil der Zukunft des Auferstandenen sein wollen.

An Pfingsten damals hat sich die skeptische Frage „Was will das werden?“ in ein Staunen verwandelt darüber, dass der Gekreuzigte bei Gott eine Zukunft hat und lebt und wirkt.

An Pfingsten heute bitten wir darum, dass auch zu uns Gottes Geist kommt, dass er uns ergreift und wir Teil des Lebens des Auferstandenen werden.

An Pfingsten beten wir darum, dass Gottes Geist unsere Welt in eine Welt des Friedens verwandelt und dass Lebensräume entstehen, wo bislang der Tod regierte.

An Pfingsten öffnen wir uns für die Zukunft Gottes, die unsere skeptische Frage „Was will das werden?“ verwandelt in ein Staunen darüber, was bei Gott alles möglich ist.

Amen.