Predigt zum Ewigkeitssonntag 2015

Schriftlesung: Gen 49,29–33

Und Jakob gebot ihnen und sprach zu ihnen: Ich werde versammelt zu meinem Volk; begrabt mich bei meinen Vätern in der Höhle auf dem Acker Efrons, des Hetiters,
in der Höhle auf dem Felde von Machpela, die östlich von Mamre liegt im Lande Kanaan, die Abraham kaufte samt dem Acker von Efron, dem Hetiter, zum Erbbegräbnis.
Da haben sie Abraham begraben und Sara, seine Frau. Da haben sie auch Isaak begraben und Rebekka, seine Frau.
Da habe ich auch Lea begraben
in dem Acker und der Höhle, die von den Hetitern gekauft ist.
Und als Jakob dies Gebot an seine Söhne vollendet hatte, tat er seine Füße zusammen auf dem Bett und verschied und wurde versammelt zu seinen Vätern.

Liebe Gemeinde,

ein Satz, der mich in den letzten Jahren immer wieder begleitet hat, ist mir bei der Vorbereitung dieser Predigt nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Es ist ein Satz, der versucht zu beschreiben, was zuhause, was Heimat ist. „Home is where your heart is“ – Zuhause ist da, wo dein Herz ist. Und mein Herz, das war in den vergangenen Jahren an vielen Orten. Seit ich von zuhause ausgezogen bin, hat mich dieser Satz immer wieder ermutigt, aufzubrechen und neu irgendwo anzukommen. Da, wo dein Herz ist, wirst du auch zuhause sein.

Und so war es auch. Viele Orte, an denen ich gelebt habe, sind mir für eine gewisse Zeit zum Zuhause geworden. Überall da, wo ich Menschen kennengelernt habe, da, wo ich Freundschaften geschlossen habe, hat mein Herz Wurzeln geschlagen und ich bin ein kleines Stück mehr angekommen. Zuhause. Der Ort, wo das Herz ist.

Oft fällt dieses Wort „zuhause“ im Gespräch mit Trauernden, nach einem Todesfall. Da ist das Zuhause, das nicht mehr das gleiche ist, wie vorher. Das Bett nebenan ist leer oder die Wohnung so ruhig. Für Kinder ist es nicht mehr das gleiche, nach Hause zu den Eltern zu kommen, seit der Vater, die Mutter oder sogar beide nicht mehr da sind. „Zuhause“, der Ort, an dem man aufgewachsen ist, an dem man Wurzeln geschlagen hat, ist nicht mehr da.

Zuhause, das ist gleichzeitig der Ort, an dem Menschen am liebsten sterben wollen. Friedlich. Im eigenen Bett. Im Kreise der engen Familie. Zuhause ist ein Ort, an dem man auch sterbend sein kann, wie man ist.

Von einem, der so gestorben ist, im Kreise seiner Familie, haben wir gerade in der Schriftlesung gehört. Jakob, der Stammvater Israels, hat seine Familie um sich versammelt und nimmt Abschied. Ein langes Leben geht hier zu Ende.

Wir erinnern uns an die alten Geschichten: Jakob, der Sohn Isaaks und Enkel Abrahams. Ein streitbarer Mensch, der seinen Vater betrogen und sich mit seinem Bruder gezankt hat. Einer, der um seine Interessen gekämpft hat – auch mit Gott. Einer, der viele Jahre gedient hat, um endlich die zur Frau zu nehmen, die ihm so am Herzen lag. Zwölf Söhne von vier Frauen, die bekanntesten unter ihnen Josef und Benjamin.

Josef war inzwischen ein großer Mann in Ägypten geworden und zu ihm war die ganze Familie während der Hungersnot geflohen. Josef sorgte sich um die Familie und ganz besonders um seinen Vater Jakob. Denn sie waren immer noch Fremde in Ägypten und ohne ihn würde es ihnen nicht so gut gehen. Doch nun war die Zeit für Jakob gekommen, dass er sterben musste. Jedem seiner Söhne sagt er noch ein gutes Wort. Er nimmt sich Zeit für sie und sie nehmen sich Zeit für ihn.

Im Raum steht sein letzter Wunsch: Begrabt mich bei meiner Familie, dort will ich sein in Ewigkeit. Nach Hause kommen. Nicht in der Fremde bleiben, sondern vereint sein mit denen, die schon vor einem gegangen sind. Diesen Wunsch formuliert Jakob an seine Söhne und das ist bis heute eine Hoffnung, die Sterbende und Angehörige trägt.

Und als Jakob dies Gebot an seine Söhne vollendet hatte, tat er seine Füße zusammen auf dem Bett und verschied und wurde versammelt zu seinen Vätern.

Ich lese aus der Bibel, wie es nach Jakobs Tod weitergeht (Gen 50,1–3):

Da warf sich Josef über seines Vaters Angesicht und weinte über ihm und küsste ihn. Und Josef befahl seinen Dienern, den Ärzten, dass sie seinen Vater zum Begräbnis salbten. Und die Ärzte salbten Israel, bis vierzig Tage um waren; denn so lange währen die Tage der Salbung. Und die Ägypter beweinten ihn siebzig Tage.

Alles hat seine Zeit. Da liegt er nun und ist tot – der Mann, der Bruder, der Onkel, der Vater. Oder sie. Die Schwester, die Tante, die Oma, die Tochter. Alles ist anders und wie, das lässt sich noch gar nicht erahnen.

Josef wirft sich über seinen Vater und weint bitterlich. Es berührt mich, dass dieser alte Text die Tränen Josefs nicht verheimlicht. Josef ist zutiefst traurig. Auch ein Mann darf weinen. Auch der zweite Mann im Staat Ägypten darf weinen. Wann, wenn nicht beim Tod eines geliebten Menschen, darf man zu seinen Gefühlen stehen? Im alten Israel war es scheinbar keine Schande, seine Tränen zu zeigen. Josef war ein starker Mann, und seine Tränen nehmen ihm nichts von seiner Würde. Denn auch Indianer kennen Schmerzen und weinen salzige Tränen. Im Gegenteil. Die Angehörigen und Freunde tragen die Trauer mit Und das ist wichtig!

Denn schon geht das ganze Prozedere los: Einen Arzt rufen. Den Bestatter anrufen. Einen Termin für die Bestattung festlegen. Die Anzeige gestalten. Den Sarg oder die Urne aussuchen. Zwischendurch reden. Besuch empfangen. Schweigen. Weinen.

Mit dem Pastor sprechen. Lieder aussuchen. Und Kaffee bestellen. Blumen aussuchen.

Stille aushalten. Müssen. Weinen. Fragen. Allein sein.

Wie gut, wenn es Menschen gibt, die einen in dieser Zeit begleiten. Die einem bei Entscheidungen helfen und schwierige Wege mitgehen. Wenn die Kollegen, Bekannten und Nachbarn mittrauern und Verständnis haben. So lange, wie es eben dauert.

Ich lese weiter (Gen 50,4–14):

Als nun die Trauertage vorüber waren, redete Josef mit den Leuten des Pharao und sprach: Habe ich Gnade vor euch gefunden, so redet mit dem Pharao und sprecht: Mein Vater hat einen Eid von mir genommen und gesagt: Siehe, ich sterbe; begrabe mich in meinem Grabe, das ich mir im Lande Kanaan gegraben habe. So will ich nun hinaufziehen und meinen Vater begraben und wiederkommen. Der Pharao sprach: Zieh hinauf und begrabe deinen Vater, wie du ihm geschworen hast. Da zog Josef hinauf, seinen Vater zu begraben. Und es zogen mit ihm alle Großen des Pharao, die Ältesten seines Hauses und alle Ältesten des Landes Ägypten, dazu das ganze Haus Josefs und seine Brüder und die vom Hause seines Vaters. Allein ihre Kinder, Schafe und Rinder ließen sie im Lande Goschen. Und es zogen auch mit ihm hinauf Wagen und Gespanne und es war ein sehr großes Heer. Als sie nun nach Goren-Atad kamen, das jenseits des Jordans liegt, da hielten sie eine sehr große und feierliche Klage. Und Josef hielt Totenklage über seinen Vater sieben Tage. Und als die Leute im Lande, die Kanaaniter, die Klage bei Goren-Atad sahen, sprachen sie: Die Ägypter halten da große Klage. Daher nennt man den Ort „Der Ägypter Klage“; er liegt jenseits des Jordans. Und seine Söhne taten, wie er ihnen befohlen hatte, und brachten ihn ins Land Kanaan und begruben ihn in der Höhle auf dem Felde von Machpela, die Abraham gekauft hatte mit dem Acker zum Erbbegräbnis von Efron, dem Hetiter, gegenüber Mamre. Als sie ihn nun begraben hatten, zog Josef wieder nach Ägypten mit seinen Brüdern und mit allen, die mit ihm hinaufgezogen waren, seinen Vater zu begraben.

Als nun die Trauertage vorüber waren, hat die Klage immer noch ihren Raum. Josef hält sich an das Versprechen, seinen Vater nach Hause zu bringen. Er bereitet alles vor und ein großer Trauerzug macht sich auf die Reise. Nicht nur die engsten Angehörigen kommen mit, sondern auch eine große Zahl von Ägyptern begleitet die Trauernden.

Bemerkenswert finde ich, dass der Trauerprozess damit noch nicht abgeschlossen ist. Immer wieder ist davon die Rede, dass die Menschen klagen. Die Klage, der Frust und die Trauer haben ihren Raum. Immer wieder. Und doch geht es irgendwie weiter. Die Reise der Trauernden zum Grab ihres Toten ist eine Reise zu den Wurzeln.

Jakob, der sich gewünscht hat, bei seinen Vätern und Müttern begraben zu werden, kommt nach Hause. Für die Angehörigen ist das ein schwerer Weg. Sie müssen loslassen und wissen nicht, was dann passieren wird. Doch für den Verstorbenen ist das eine gute Perspektive.

Jakob ist sich gewiss: Da, wo ich hinkommen werde, da bin ich zuhause. Zuhause, das ist da, wo das Herz ist. Und oft ist das Herz an einem Ort, den ich mit guten Erinnerungen verbinde.

Jakob kommt nach Hause. Das gilt noch in einem weiteren Sinne. In den Erzählungen, die Jakob von seinen Vätern und Müttern übernommen hat, ist die Geschichte seiner Familie nie einfach nur eine Geschichte von Menschen. Die Geschichte von Abraham und Sara, Isaak und Rebekka und dann auch Jakob und seinen Frauen ist auch Gottesgeschichte. Seit Abraham den Auftrag von Gott bekommen hat, aufzubrechen in ein fremdes Land, seitdem gilt auch das Versprechen von Gott, mit ihm zu sein und sein Volk zu begleiten. Und Jakob kennt all diese Geschichten seiner Väter. Er selbst ist Gott begegnet und hat mit ihm gerungen. Er selbst hat erfahren, wie nah oder auch fern Gott einem im Leben sein kann. Doch am Ende hat Gott ihm ein segensreiches Leben geschenkt. Und so ist die Perspektive nach Hause, zu seinen Vätern und Müttern zurück zu kehren, auch die Gewissheit, zu Gott zurückzukehren. Zuhause ist da, wo dein Herz ist.

Denn in all den Wirren seines Lebens hat Jakob eins nie vergessen: Dass Gott ihn geschaffen hat und ihn kennt. Dass er dieses, sein Leben, Gott zu verdanken hat. Dass Gott ihn begleitet hat, wo immer er war und dass er deswegen auch als wandernder Hirte immer sein Herz und sein Zuhause immer bei Gott haben wird.

Und so ist die Reise, die Josef und seine Geschwister mit ihrem verstorbenen Vater machen, auch eine Reise zu ihren Wurzeln. Auch sie kennen die Geschichten ihrer Väter und Großmütter und erzählen sie weiter an ihre Kinder. Und so bringen sie ihren Vater nach Hause, dorthin wo sein Herz schon immer war und auf ewig bleiben wird: Bei Gott, der jede und jeden besser kennt, als wir selbst. Der unser Herz ansieht und es zur Ruhe kommen lässt, wenn auch wir eines Tages nach Hause kommen.

Amen.